Ein geschnitzter, lebensgroßer Komodowaran hält Wacht über die „Vrouwe Christina“. Er ist keines von den netten Tieren, eher ein aggressiver, giftiger Aasfresser, dem man in freier Wildbahn lieber nicht zu nahekommen sollte. Ein krasser Gegensatz zu der fast barock wirkenden Tjalk, die da funkelnagelneu und mit Schnitzereien verziert im Flensburger Hafen liegt. Und doch passt es irgendwie, denn dieses Schiff strahlt so viele Widersprüche aus, dass es mich spontan interessiert. Einerseits wirkt es wie gerade vom Stapel gelaufen, andererseits klassisch. Es winkt einladend und weist ab. Nichts passt hundertprozentig zusammen und doch ist es fast zu perfekt.

Ich treffe am nächsten Tag den Eigner an Bord und schon gehen die Widersprüche weiter.

Die „Frouwe Christina“ sieht aus wie eine klassische Tjalk, ein Plattbodenschiff, wie es in den flachen Gewässern der Niederlande benutzt wird, aber sie verfügt über einen Kiel und verwendet die leichten, elegant wirkenden Seitenschwerter aus Teak nur zusätzlich. Ohne Kiel würden diese bei dem 95 t schweren 23 Meter langen Schiff nicht ausreichen. Neu ist sie natürlich auch nicht, zumindest laut Geburtsdatum. 1955-57 wurde sie im Auftrag eines amerikanischen Eigners von Feadship in Haarlem vor den Toren Amsterdams gebaut. Der hatte sich in die reichlich mit Schnitzereien versehene, in den 40ern gebaute Yacht „De Groote Beer“ verliebt, die von Hermann Göring bestellt worden war, aber nie an ihn ausgeliefert wurde, weil sich der Bau sehr, sehr lange hin zog. Allerdings wollte er ein größeres Schiff und eines aus Stahl.

2002 hat der jetzige Eigner Henri Krijnen die „Vrouwe Christina“ auf St. Martin in der Karibik erworben und musste zunächst das Unterwasserschiff komplett mit neuen Platten versehen. Bis 2005 haben die gesamten ersten Restaurierungsmaßnahmen gedauert.

Mehrere Werftaufenthalte folgten, immer wieder wurde am Schiff verbessert und geändert, innen wie außen. Inzwischen ist sie auf dem modernsten Stand, wahrscheinlich käme sie sogar segelnd ohne Menschen an Bord pünktlich im Zielhafen an.

Die Tjalk hat eine Menge gesehen, von der Karibik bis Alaska. Die amerikanischen Intercoastal Waterways hat sie mehrfach bereist, fünfmal den Atlantik überquert, dreimal den Panamakanal durchfahren, zwei Hurricanes und manche Stürme überstanden. Sie gleicht darin ihrem Eigner, der sein Vermögen mit Spielautomaten und Casinos gemacht und in seinem Leben mit Sicherheit viele Ups und Downs erlebt hat. „Von dem, was ich erlebt habe, müsste ich einhundertzwanzig Jahre alt sein…“ sagt er selbst von sich, dazu fehlen aber noch fünfzig.

Nein, ein Jedermannsfreund ist der alte Niederländer sicher nicht, der mir gegenüber sitzt und für mich alle Details selbst aufschreibt, eher eine Mischung aus dem freundlichen Seehund, der hinten auf dem Ruder thront und dem wachsamen Komodowaran, den er selbst auf das Dach vor dem Ruderhaus montiert hat. Mehr noch als Häuser und Wohnungen können Schiffe ihre Eigentümer spiegeln. Ich weiß, wovon ich rede.

Ich habe mich gefreut, ihn und seine ungewöhnliche Yacht kennengelernt zu haben. Gute Fahrt allzeit, „Vrouwe Christina“, möge sich Dein Eigner noch viele Jahre an Dir freuen und die Menschen sich über Dich wundern.

Mehr Informationen über die „Vrouwe Christina“:

http://www.feadship.nl/en/fleet/yacht/vrouwe-christina#slide-exterior-0

https://www.allatsea.net/restoring-a-classic-de-vrouwe-christina/


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